Reportage von Knut Henkel
Anfang Oktober hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Umsetzung der Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EU-Deforestation Regulation, kurz EUDR) um ein Jahr bis zum Dezember 2025 aufzuschieben. Sollte der Vorschlag vom EU-Parlament angenommen werden, gilt es, die Zeit zu nutzen, um betroffene Kleinbäuer*innen und Kooperativen besser vorzubereiten und zu unterstützen. Das ist bei den Partnerkooperativen der GEPA nicht mehr nötig – sie sind bereits jetzt auf den Punkt vorbereitet.
Javier Domínguez ist ein geduldiger Mann und gewohnt, Probleme zu lösen. Doch in den letzten Monaten haben sich trotz allen Engagements die Fragezeichen rund um die EU-Entwaldungsverordnung gehäuft. „Bis heute, wissen wir immer noch nicht, welches die Formate sind, in welchen wir die Daten unserer Genoss*innen an unsere Partner in Europa übertragen und an welche Schnittstelle der EU-Behörden sie dann weitergleitet werden sollen“, erklärt der eher kleingewachsene, drahtige Mann aus Jaén und zieht etwas hilflos die Schultern hoch. Domínguez ist mit Kaffee groß geworden, ist heute für den Verkauf der aromatischen Bohnen von rund eintausend Genoss*innen verantwortlich. Die bauen in der Region Jaén, ganz im Norden Perus, nahe der Grenze zu Ecuador, Kaffee in erlesener Qualität an.
Sol y Café heißt die Genossenschaft mit eigener Schule, präventiv ausgerichteter Gesundheitsversorgung und Aufforstungsprogrammen. Das hat zum Aufbau langjähriger Partnerschaften mit Importeuren auch in Deutschland beigetragen – unter anderem zur Fair Trade Company GEPA. Javier Domínguez: „Das hat uns einen immensen Vorteil verschafft. Wir haben früh alle verfügbaren Informationen über die EU-Verordnung erhalten, konnten uns, so gut es eben geht, vorbereiten“. Die Flächen der Kleinbäuer*innen, die in aller Regel auf wenig mehr als zweieinhalb Hektar Fläche anbauen und in insgesamt 72 Kooperativen organisiert sind, wurden vermessen, kartografiert und können je nach Größe der Kaffeefarm nun per GPS-Koordinaten oder Polygon erfasst werden: Georeferenzierung nennt sich das. Der Begriff ist unter Kaffeespezialist*innen, Einkäufer*innen von großen wie kleinen Handels- und Röstunternehmen zum geflügelten Wort geworden, denn er ordnet die Kaffeebohnen einem Produktionsort zu, macht den Ort über Satelliten sichtbar. Auf diesem Weg kann der Baumbestand kontrolliert werden, per Vergleich mit älteren Karten nachgewiesen werden, dass auf der betreffenden Fläche in den letzten vier Jahren kein Baum gefällt wurde.
Das ist nötig, denn nur noch „entwaldungsfrei“ produzierter Kaffee soll in europäischen Tassen landen. So die Kernidee der EU-Verordnung, die Ende Juni 2023 vorgestellt wurde und für insgesamt sieben Agrarprodukte gilt, darunter Kaffee und Kakao. Zentraler Grund für die Vorstellung der wegweisenden Verordnung war die Tatsache, dass sämtliche auf Freiwilligkeit beruhende Maßnahmen zum Schutz der Wälder in den letzten Jahren nicht oder zu wenig gefruchtet haben. Das belegt die UN-Welternährungsorganisation FAO in einer Studie, wonach zwischen 1990 und 2020 weltweit rund 420 Millionen Hektar Wald verschwanden – eine Fläche größer als Europa. Das soll sich mit der Implementierung von Verordnungen wie jener der EU ändern – auch wenn vieles darauf hindeutet, dass sie erst ab dem 30. Dezember 2025 greifen – also ein Jahr aufgeschoben wird.
Wie wichtig das Thema ist, wissen auch Kaffeeanbieter wie Javier Domínguez, der jedes Jahr aufs Neue hunderte Container mit grünem Rohkaffee an große und kleinere Importeure in aller Welt verkauft. „Die Intention der EU-Verordnung ist sehr gut, die Umsetzung und die Implementierung erfolgte allerdings über unsere Köpfe hinweg. Wir wurden weder beteiligt noch gefragt“, kritisiert er das Vorgehen der zuständigen EU-Stellen. Eine Kritik, die in vielen kaffeeproduzierenden Ländern zu hören ist, ob in Kolumbien, Guatemala, Uganda oder Indien. Hier und da wird der Vorwurf des „Grünen Kolonialismus“ ins Feld geführt – eben, weil die Mitsprache der Produzent*innen schlicht zu kurz gekommen ist. Konsultationen hat es zwar 2018 und 2019 gegeben, aber Kleinbäuer*innen spielten nur eine nachrangige Rolle. Das bestätigt auch Kleber Cruz-García, Einkaufsmanager der GEPA mit peruanischen Wurzeln. Er hält den Kolonialismus-Vorwurf jedoch für überzogen: „Fakt ist, dass wir mit dem Prinzip der Freiwilligkeit nicht weitergekommen sind, dass der Klimawandel im Kaffeeanbau von Jahr zu Jahr spürbarer wird – es war und ist überfällig zu handeln“.
Das sehen auch die EU-Verantwortlichen so. Die Bundesregierung in Person von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) steht auch hinter der Verordnung, appellierte aber schon im April an die EU, mehr Tempo bei der Implementierung zu machen. Passiert ist allerdings wenig bis gar nichts, wodurch die Kaffeebranche mehr oder minder in Aufruhr geriet, denn Lieferverträge müssen gemacht und en détail mit der EU-Verordnung abgestimmt werden.
Genau das war für die großen Importeure kaum mehr möglich, wenn die EUDR wie geplant zum 30. Dezember 2024 in Kraft getreten wäre. Der absehbare Aufschub bis zum 30. Dezember 2025 bietet nun die Option nachzubessern, Kleinbauern und Genossenschaften bei der Implementierung der Vorgaben zu unterstützten, aber auch die offenen Fragen zu klären. Dabei geht es vor allem um die Schnittstelle und die Datenformate, in denen die Geolokalisierungsdaten der Produzent*innen geliefert werden sollen. Diesbezüglich habe die EU, so formulieren es große wie kleinere Kaffee-Importeure, „ihre Hausaufgaben nicht gemacht“.
Anders als viele der kleinen und großen Genossenschaften, die von ihren Handelspartnern, Direktimporteuren wie der GEPA seit 2023 gebrieft und beraten wurden und sich detailliert auf die EU-Verordnung vorbereitet haben. COSURCA heißt der Genossenschaftsdachverband im Süden Kolumbiens mit rund 1600 Mitgliedern, deren Mitglieder zuversichtlich sind, ihren Kaffee auch zukünftig nach Europa exportieren zu können, so Geschäftsführer René Ausecha. Etwas weiter nördlich, in Guatemala, ist Jesús Alvarado für die Implementierung der EUDR für die rund 23.000 Kaffeebäuer*innen vom Genossenschaftsdachverband FEDECOCAGUA verantwortlich. „Uns hat die Implementierung der bekannten Vorgaben von EUDR alles abverlangt, denn in Guatemala ist die Infrastruktur in den Regionen mies, das Internet-Signal oft schwach und die IT-Beratung oft nicht vorhanden. Das hat uns Nerven, Geld und viel Zeit gekostet“, erklärt der 68-jährige Agronom. Aber er ist zuversichtlich, bis zum Jahresende die Daten aller Bäuer*innen und ihrer Farmen zusammen zu haben. Dabei hat der eigentlich für Zertifizierung der Bäuer*innen nach Fairtrade-, Bio und anderen Standards Verantwortliche sich auf bereits erhobene Daten stützen können. „Sie waren für die Zertifizierung der unterschiedlichen Siegel notwendig und dienten uns als Trampolin für die Implementierung der Vorgaben der EUDR“, so Alvarado. Dabei war er genauso wie Kollege Ausecha froh, hier und da Tipps von der GEPA bei der Implementierung zu bekommen, die geholfen haben, so manche Hürde zu beseitigen.
Das bestätigen auch etliche Kolleg*innen aus dem genossenschaftlich strukturierten Bereich des Kaffeeanbaus, darunter auch Nicodemus Bamuhangaine aus Uganda. Er ist für die Bio-Zertifizierung der mit 17.000 Mitgliedern Dach-Genossenschaft ACPCU in Uganda verantwortlich und konnte sich in den letzten 18 Monaten auf die Beratung und Expertise von Franziska Bringe verlassen. Sie ist GEPA-Einkaufsmanagerin mit Schwerpunkt Afrika und hat mit ihrem Kollegen Kleber Cruz-García in etlichen Meetings die Partner-Kooperativen rund um den Globus fit gemacht für den möglichst reibungslosen Übergang zu EUDR. „Das ist alternativlos, denn ohne die lückenlose Nachverfolgbarkeit der Herkunft von Kaffee und den sechs anderen in der EUDR aufgeführten Produkten kann zukünftig niemand in die EU exportieren“, so Bringe.
Sie hofft ähnlich wie Kleber Cruz García, dass die extrem aufwendige und technisch anspruchsvolle EUDR auch positive Effekte haben könnte. „Eine Option ist, dass sich mehr Kleinbäuer*innen genossenschaftlich organisieren, weil sie sehen, dass die Genoss*innen schlicht besser vorbereitet sind“. Folgerichtig könnte die EUDR indirekt dafür sorgen, dass die genossenschaftlichen Strukturen eine Frischzellenkur erhalten und obendrein noch effektiver werden. Allerdings stellt sich mit der Implementierung der EU-Vorgaben und der nötigen Erhebung der Geodaten eine zentrale Frage: Was passiert mit der Flut von Daten, die erhoben werden? „Wer hat das Recht an ihren Geodaten, die die Größe der Farmen dokumentieren und den EU-Kontrollbehörden zur Verfügung gestellt werden müssen?“, fragt Cruz-García.
Längst haben sich etliche Anbieter auf dem Markt etabliert, die den Bäuer*innen ihre Expertise und virtuelle Plattformen anbieten, auf denen hochgeladen wird, was die EU zur Kontrolle der „entwaldungsfreien“ Kaffeeproduktion anfordert. An diesen Unternehmen und den IT-Spezialisten führt derzeit kein Weg vorbei, meinen Nicodemus Bamuhangaine aus Uganda genauso wie Javier Domínguez aus Peru. Sie haben Verträge mit IT-Anbietern gemacht, um die Daten aufzubereiten, obwohl die EU-Verantwortlichen weder eine Datenschnittstelle noch das Format und die Größe der Datenpakete definiert haben – sind also vorauseilend aktiv geworden. Das hat seinen Preis: Pro Bauer verlangen Anbieter in Peru jährlich pauschal 18 US-Dollar oder auch 230 US-Dollar pro exportierten Container mit 300 Sack Kaffee, so Javier Domínguez von Sol y Café. In Uganda sind die Ausgaben etwas geringer, aber deutlich spürbar. „Das ist ein zusätzlicher Kostenfaktor, um auch weiterhin in die EU exportieren zu können. Fonds für die Implementierung von EUDR haben die EU-Behörden nicht vorgesehen“, kritisiert der Agraringenieur.
Dank der Kooperation der GEPA mit dem Forum Fairer Handel, Fairtrade Deutschland und dem BMZ hat er zumindest punktuell etwas Förderung erhalten, was längst nicht für alle Genossenschaften gilt, die in Peru, aber auch in Kolumbien oder Guatemala aktiv sind. Die angefallenen Beratungs-Kosten pro Bäuer*in taxiert Sol y Café auf rund 60 US-Dollar. Weitere Infos zum Projekt in unserer Meldung Förderung für „Entwaldungsfreie Lieferketten".
Das Fehlen von finanzieller Förderung der EU für Umsetzung der anspruchsvollen EU-Verordnung ist ein zentraler Punkt, den viele Genossenschafts-Vertreter*innen wie Javier Domínguez ins Feld führen. „Wir sind Fairtrade- oder Bio-zertifiziert. Die vorhandenen Daten helfen uns bei der Georeferenzierung und sind ein Vorteil für uns gegenüber Bäuer*innen, die nicht organisiert sind.“ Hinzu kommt, dass durch Bio-Anbau und nachhaltiges Wirtschaften Aufforstung und das Pflanzen von Schattenbäumen für die Kaffeepflanzen längst ein Thema ist – mit dem Abholzen von Regenwald hat Sol y Café nichts zu tun. Das belegt auch eine von Fairtrade International in Auftrag gegebene Studie, die im September erschienen ist.
Für viele Kleinbäuer*innen, die nicht genossenschaftlich organisiert sind oder mit Fair Trade-Organisationen wie der GEPA handeln, kann der Aufschub eine Chance sein – wenn die EU gleichzeitig finanzielle Mittel und praktische Unterstützung anbietet, meint Kleber Cruz-García: „Ein Aufschub darf nicht dazu führen, dass die Implementierung der EU-Verordnung ,Entwaldungsfreie Lieferketten´ auf Eis gelegt wird“, mahnt er. „Sonst stehen wir im Dezember 2025 vor demselben Problem wie jetzt. Dann wäre ein Aufschub das falsche Signal angesichts zunehmender Probleme mit der Klimakrise“.
Ohnehin hat die GEPA – anders als etliche große Importeure – gemeinsam mit den Partner-Genossenschaften frühzeitig ihre Hausaufgaben gemacht: Transparenz, Rückverfolgbarkeit des Produkts bis zur Farm sind genauso Usus wie die Zertifizierung. Das sind Vorteile, von denen beiden Seiten in den nächsten Jahren noch profitieren könnten.
Stand 10/2024
Meldung zum HREDD-Fonds des BMZ:
Förderung für „Entwaldungsfreie Lieferketten“
Einen Überblick über unseren Partner bekommen Sie in der
Handelspartner-Darstellung COSURCA
Reportage über unseren Partner COSURCA:
Mit Qualitätskaffee gegen die Klimakrise
Artikel des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zum Thema:
EU-weit einheitliche Regelung für entwaldungsfreie Lieferketten
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in unserer Handelspartner-Darstellung
Este informe en español:
EUDR: ¿El aplazamiento como oportunidad?