Das Altiplano, die Hochebene Boliviens, ist ein lebensfeindlicher Ort: 4.000 Meter hoch gelegen, trocken, kalt, windig. Und trotzdem wächst hier etwas, das die Menschen ernährt: Quinua. „Ein Geschenk Gottes“ sagen die Menschen, die hier leben.
Das Geschenk Gottes ist nicht umsonst. Nur wer es pflegt und schützt, wird es erhalten. Um das zu tun, steht Doña Lydia auch heute wie jeden Morgen um fünf Uhr in der Frühe auf, kocht ein herzhaftes Frühstück aus Quinua und Lamafleisch und macht sich auf den Weg. Nicht zu ihren Feldern, sondern in entgegengesetzte Richtung zu ihren Lamas.
Wer Quinua anbauen will, braucht Lamas, denn so anspruchslos die Pflanze auch sein mag, sie braucht den Dung der Kleinkamele, um zu gedeihen. Doña Lydia hat sich ein wollenes Tuch um die Schultern gewickelt. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen und auf der Hochebene weht der Wind eisig kalt. Nach sechs Kilometern hat sie die Weidegründe ihrer Lamas erreicht. 120 Tiere sind es, die mit fast hochmütigem Blick zwischen den stacheligen Büschen entlang schreiten. Doña Lydia erkennt jedes Einzelne an seiner Zeichnung und mit Namen, sie liebt Lamas, seit sie ein kleines Mädchen war, und zieht verwaiste Tiere liebevoll mit der Flasche auf. Doña Lydia treibt die Herde zusammen und führt sie an eine ganz bestimmt Stelle. „Hier will ich nächstes Jahr Quinua pflanzen“ sagt sie.
Doña Lydia ist 55 Jahre alt und hat ihr ganzes Leben in dem Dörfchen San Pedro de Quemez, einige Kilometer vom Salar de Uyuni entfernt, verbracht. Quinua anzubauen und Lamas zu züchten sind in der wüsten Einöde des bolivianischen Südwestens die einzige Überlebensmöglichkeit. Lange Zeit kamen die Menschen hier so gerade eben durch.
Sie ernährten sich von ihrer Quinua und den Lamas, aber Geld war damit nicht zu verdienen. "Manchmal kamen Händler mit Lastwagen voller Säcke mit Lebensmitteln. Für einen Sack Mehl oder Zucker verlangten sie zwei Säcke Quinua. Wir hatten keine Wahl, wir mussten unsere Quinua mehr oder weniger verschenken, denn es gab keinen Markt dafür", erinnert sich Doña Lydia. Die Kleinbauern wollten das nicht länger hinnehmen. Sie schlossen sich 1983 zu der Kooperative ANAPQUI zusammen und suchten einen Markt. Den fanden sie weit weg, unter anderem in Deutschland bei der GEPA. "Plötzlich waren wir nicht mehr der Willkür der Händler ausgeliefert, sondern hatten Käufer, die uns einen fairen Preis für unser Produkt bezahlt haben".
Quinua wird im Andenhochland schon seit vielen Jahrhunderten angebaut. Sie ist äußerst nahrhaft und gesund und gehörte bereits bei den Inka zu den Grundnahrungsmitteln. In den letzten Jahren erlebte die Quinua einen ungeahnten Boom. Auch „Reismelde“ genannt, enthält sie viele Proteine und ist damit ein idealer Ausgleich für Vegetarier, die auf tierisches Protein verzichten. Außerdem entwickeln immer mehr Menschen eine Glutenallergie. Mit der Quinua können sie herkömmliche Nudeln, Frühstücksflocken und Mehl aus Weizen ersetzen. So ist die Nachfrage nach dem „Korn der Inka“ weltweit steil angestiegen.
Für die Bauern im Hochland Boliviens sind goldene Zeiten angebrochen, denn zum ersten Mal können sie auf ihren kargen Wüstenböden etwas produzieren, das wirklich Geld einbringt. Für einen Sack Quinua bekommen sie heute vier Säcke Mehl, Zucker, Reis oder Nudeln.
Doch der Boom der Quinua ist gefährlich. „Alle wollen so viel wie möglich damit verdienen“, erklärt Grover Cayo, Repräsentant von ANAPQUI. „Überall werden die Büsche gerodet und Quinuafelder angelegt. Aber wenn wir die Quinua nicht behutsam und nachhaltig anbauen, dann werden wir bald gar nichts mehr haben.“
Die karge Ebene des Altiplanos ist für den intensiven Anbau nicht geeignet. Das bisschen fruchtbare Erde im Sand ist das Ergebnis jahrhunderterlanger Beweidung mit Lamas. Werden die stacheligen Büsche gerodet und der Boden mit Traktoren aufgebrochen, ist die Erde schutzlos den Elementen ausgesetzt. „Das da ist das große Problem“ sagt Grover Cayo und zeigt auf eine Windhose, die in einem großen Wirbel Staub davonträgt. „Was da verschwindet, ist das bisschen Humus, das wir hier haben.“
Kann man es den Bauern verdenken, dass sie endlich einmal Geld verdienen und nicht immer nur am Existenzminimum kratzen wollen? Kann man von ihnen erwarten, dass sie um der Nachhaltigkeit willen auf ein Einkommen verzichten und weiter nur winzige Parzellen für den Eigenbedarf anpflanzen?
ANAPQUI versucht einen Mittelweg zu finden, der beiden gerecht wird, dem Gedanken der Nachhaltigkeit und dem Bedürfnis der Bauern nach einem brauchbaren Auskommen. Dabei hat sich auch die Rolle der GEPA geändert. Ging es früher darum, Märkte zu erschließen, so steht heute der nachhaltige Anbau im Vordergrund. „Wir verwenden die Prämie hauptsächlich, um damit Agraringenieure zu bezahlen, die unseren Mitgliedern beibringen, wie sie die Quinua möglichst umweltschonend anbauen können“, erklärt Grover Cayo die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der GEPA.
Zum nachhaltigen Anbau gehört vor allem der Schutz der Erde. Damit die Krume nicht so leicht vom Wind davongetragen wird, sollen die Felder nach und nach mit Mauern aus Steinen umgeben werden. Eine mühsame und zeitraubende Arbeit. Vor allem aber muss die Qualität des Bodens erhalten werden. Damit sich die Erde erholen kann, werden immer abwechselnd ein Jahr lang Quinua gepflanzt und dann wieder Lamas über das Feld getrieben. Und es wird gedüngt.
Bei ihrem Besuch bei der Lamaherde hat Lydia einen Sack voll Lamaköttel eingesammelt. Sie setzt damit Dünger an. Um ihn herzustellen, versenkt sie den wasserdurchlässigen Sack wie einen gigantischen Teebeutel in einer halbgefüllten Wassertonne und deckt sie mit einer Plastikfolie ab. Mindestens zwei Monate lang muss das Gebräu ziehen. Eine andere Tonne enthält bereits fertigen Dünger. Lydia füllt einen 10-Liter-Kanister ab und läuft mit der schweren Last vier Kilometer weit zu ihrem Feld. Unterwegs macht sie bei einem weiteren Mitglied der Kooperative halt und übernimmt das Sprühgerät. Es wurde mit Geldern aus der Fairtrade-Prämie angeschafft und wird von mehreren socios gemeinsam genutzt.
Die Sonne steht inzwischen hoch am Himmel und brennt auf die ohnehin staubtrockene Erde. Pro Jahr fallen hier im Schnitt oft noch weniger als 200 Millimeter Regen. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 800 Millimeter.
Quinua ist das einzige Nahrungsmittel, das im trockenen Altiplano ohne zusätzliche Bewässerung angebaut werden kann. Doña Lydias leuchtend grünes Quinuafeld fällt mitten in der beigegrauen Wüste sofort ins Auge. Noch sind die Pflänzchen klein, und es sieht ein wenig so aus, als hätten sie sich in eine Sanddüne verirrt. Doña Lydia besprüht eine Pflanze nach der anderen mit flüssigem Lamadung.
Doch bei genauerer Betrachtung der unscheinbaren Blüten runzelt sie die Stirn. Raupen. Nicht die einzige Bedrohung für ihre Ernte. Weil Quinua das Einzige ist, was in dieser Gegend gedeiht, sind alle hinter ihren saftigen Blättern und den nahrhaften Körnern her: Kaninchen, Ratten, Vicuñas (Kleinkamele), Vögel. Lydia seufzt. „Die Quinua zu verteidigen macht viel Arbeit. Sie ist schutzlos wie ein kleines Kind!“. Morgen wird sie wieder herkommen müssen, diesmal mit einem biologischen Pflanzenschutzmittel. Die rund um das Feld angebrachten Flatterbänder, die die Vicuñas abhalten sollen, müssen auch mal wieder erneuert, Kaninchenfallen und Vogelscheuchen aufgestellt werden.
Langsam geht der Tag zu Ende. Nachdem der Lamadung versprüht ist, ist der Rückweg weniger beschwerlich. Die 55-Jährige ist heute 20 Kilometer weit gelaufen – für sie ist das ein ganz normales Tagespensum. Als Doña Lydia erfährt, dass der Durchschnittsdeutsche pro Tag 600 Meter läuft, muss sie laut lachen. Ein Leben in der Stadt, das kann sie sich nicht vorstellen. „Wenn ich nur für ein paar Tage nach Uyuni muss, vermisse ich meine Lamas schon schrecklich!“, meint sie.
Was sie denn in ihrem Leben verändern würde? Doña Lydia muss lange nachdenken. „Mehr Regen wäre gut“, sagt sie schließlich. „Damit meine Lamas mehr zu fressen haben und die Quinua besser wächst.“ Sie schüttelt den Kopf. Mehr Regen wird es nicht geben, das ist klar. Aber es geht auch so. Das Geschenk Gottes ist nicht anspruchsvoll.
Stand 2013
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