Fast 20 Verhandlungsstunden, eine Einigung und doch dürftige Medienaufmerksamkeit während der internationalen Klimakonferenz COP 27: Im ägyptischen Sharm el Sheikh wurde ein Programm für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit beschlossen, das durchaus Potenzial für Kleinbauernfamilien bietet.
Danke an Anika Schröder, Expertin für Internationale Klimapolitik beim GEPA-Gesellschafter MISEREOR, die in diesem Gastbeitrag interessante Einblicke und eine Einordnung gibt.
In Scharm El-Scheich wurde das Programm “Sharm el-Sheikh Joint Work on Implementation of climate action on agriculture and food security” (Arbeitsprogramm für die Umsetzung von klimabezogenen Aktivitäten zu Landwirtschaft und Ernährungssicherheit) beschlossen. Es basiert auf den Empfehlungen des fünfjährigen Koronivia Prozesses, der bereits mit der Klimakonferenz in Bonn 2017 startete.
Die GEPA forderte mit ihrer Online-Petition im Vorfeld der COP 27 gemeinsam mit 16 Kooperationspartnern und 790 Zeichner*innen, Kleinbäuer*innen besser zu unterstützen und auf Agrarökologie zu setzen. Auch wenn das Programm für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit entgegen seines Namens nicht mit der Umsetzung, sondern mit weiteren Workshops zu möglichen Maßnahmen startet, bietet es diesbezüglich Hoffnungen.
Der Beitrag der Kleinbauernfamilien für die Produktion von Nahrungsmitteln, ihre besondere Verwundbarkeit, aber auch ihre besonderen Potenziale für den Klimaschutz werden deutlich betont. Vermisst wird im Abschlusstext – trotz breiter Unterstützung vieler Regierungen – hingegen ein Bekenntnis zur „Agrarökologie“, welches es zwischenzeitlich in den Text zur Klimakonferenz 2021 in Glasgow geschafft hatte. Angesichts der Agrarlobby in Ägypten wohl kaum verwunderlich: Allein die fünf größten Pestizidhersteller waren mit 26 Personen vor Ort. Das sind mehr als manche Delegation eines Staates aus dem globalen Süden. Es bleibt hingegen das Bekenntnis zu vielen Prinzipien der Agrarökologie: etwa Bodenschutz und Vielfalt auf der Anbauseite und Partizipation und Rechte lokaler Bevölkerung wie auch indigener Völker aus der sozio-ökonomischen Perspektive.
Mit diesem Beschluss gelangte das Thema Ernährung erstmals auch in eine Abschlusserklärung eines Klimagipfels: Frei übersetzt heißt es dort, dass der Ernährungssicherheit und dem Ende des Hungers angesichts der besonderen Verwundbarkeit der Nahrungsmittelproduktion besondere Priorität zukommen müsse.
Obwohl diese beiden Punkte in der Fair Handelsbewegung untrennbar verbunden sind, blieben sie auf der COP Streitthema: Die Verhandler*innen stritten wie auch in den Vorjahren darum, ob Anpassung und Klimaschutz neben der Ernährungssicherheit gleichberechtigt im Fokus stehen sollten. Das mag verwundern, wo doch Handelspartner der GEPA, wie etwa SEKEM in Ägypten, zeigen, dass dies gar nicht zu trennen ist: In agrarökologisch bewirtschafteten Betrieben gelingen ausreichend Erträge, die wenig anfällig sind für zunehmende Stürme, Dürren oder die Ausbreitung von Schädlingen. Quasi nebenbei binden Böden und Pflanzen dabei viel Kohlenstoff. Energieintensive Dünger und Pestizide kommen höchstens in Kleinstdosen zum Einsatz. Kurz gesagt: Agrarökologie ist Ernährungssicherheit und Klimaschutz in einem.
Trotzdem ist die Debatte nicht einfach. Für viele Staaten, wie etwa Indien, ist es schlichtweg eine Frage des Prinzips: Wenn der globale Norden nicht ausreichend Klimaschutz betreibt, warum soll ausgerechnet die Nahrungsmittelproduktion im Globalen Süden an Klimaschutzbedingungen geknüpft sein? Aber auch für Nichtregierungsorganisationen wie MISEREOR wäre ein Fokus auf Klimaschutz ein Einfallstor für nicht-angepasste, technikzentrierte Ansätze, die Kleinbäuer*innen in Abhängigkeiten treiben und Projekte in den internationalen Emissionshandel integrieren könnten.
Ein weiterer Streitpunkt entbrannte um die Frage, ob das Arbeitsprogramm auf den konkreten Anbau von Nahrungsmitteln oder das Ernährungssystem insgesamt bezogen sein sollte. Insbesondere afrikanische Länder zögerten mit Verweis auf eine fehlende Definition von Food Systems. Es ist anzunehmen, dass sie auch fürchteten, dass mögliche Gelder dann weniger in den Anbau, sondern in die Lieferkette verschoben würden, von denen sie weniger profitieren dürften als Industrienationen. Angesichts der ohnehin völlig unterfinanzierten Anpassungsfonds der internationalen Staatengemeinschaft ist das eine durchaus berechtigte Sorge.
Dabei ist aus Klima- und Entwicklungsperspektive klar: Die Erweiterung der Produktionsperspektive um Marktzugang, Qualität und emissionsarme Lieferketten bietet enorme Chancen für Klimaschutz und Ernährungssicherheit, etwa wenn Nachernteverluste oder Lebensmittelverschwendung vermindert werden.
Am Ende ist es die Verantwortung aller Vertragsstaaten, ihre Politiken und Maßnahmen so aufzustellen, dass gute Ernährung auch in der Klimakrise für alle möglich ist und dabei die Produktionsfaktoren Klima, Boden und Wasser geschont bleiben. Und es ist die Verantwortung der Verursacher der Klimakrise, dies in anderen Ländern zu unterstützen.
Das Programm „Sharm el-Sheikh Joint Work on Implementation“ vereint dafür starke Prinzipien, hinter denen sich die Fair Handelsbewegung durchaus versammeln kann. Wenn diese zum Wegweiser für nationale Antworten werden und als Maßstab für die internationale Finanzierung von Klimaschutz, Anpassung sowie Wiederaufbau nach Naturkatastrophen im Agrarbereich angelegt würden, wäre viel für Kleinbauernfamilien weltweit und für den Klimaschutz gewonnen.
Stand 11/2022
Warum Fairer Handel und Klimagerechtigkeit eng verbunden sind, lesen Sie hier:
"Klimagerechtigkeit – worum es uns geht"
Unsere Pressemitteilung zum Abschluss der COP 27:
Europäische Klimakampagne – Fairer Handel als Teil der Lösung