Reportage von Knut Henkel
Migration ist ein Fluch, unter dem immer mehr Kaffeeregionen Mittel- und Südamerikas leiden. Die Abwanderung der Jugend, aber auch der kaffeepflückenden Erntearbeiter*innen konfrontieren Genossenschaften mit Themen wie Überalterung und der Frage nach Perspektiven aus der aromatischen Bohne. Die Genossenschaft ASOPROSAN steuert erfolgreich gegen. Ein Modell – auch für andere Regionen?
Osman David Cortéz steht am knallrot lackierten Kaffeeröster, zieht eine letzte Röstprobe, nickt zufrieden mit dem Kopf und lässt die dampfenden Bohnen in das Abkühlsieb gleiten. Prompt füllt sich die kleine Produktionshalle in San Andrés mit dem Duft nach frischgeröstetem Kaffee. Der 26-jährige Cortéz, ein kräftiger Mann mit breitem Kreuz und rundem Gesicht, nickt zufrieden, lässt ein paar der noch heißen Bohnen durch die rechte Hand gleiten und wendet sich dann den beiden Besuchern zu.
„Dieses Jahr wollen wir unsere Röstmenge deutlich steigern. Die Nachfrage ist da, die Ernte zur Hälfte eingebracht und sie fällt in diesem Jahr vielversprechend aus“, blickt der junge Kaffeebauer optimistisch in die Zukunft. Cortéz baut auf rund 3,5 Hektar Land seiner Eltern Kaffee an und ist obendrein Koordinator der Jugendgruppe der Kaffeekooperative ASOPROSAN. Das Kürzel steht für „Asociacion de Productores de Café de San Andrés“, so viel wie Vereinigung der Kaffeeproduzent*innen von San Andrés. Die honduranische Kleinstadt liegt nahe der Grenze zu El Salvador. Die Region ist von Pinienwäldern und lockeren, sandigen und ziemlich trockenen Böden geprägt. Sie gehört zu den acht Kaffee-Anbauregionen in Honduras. „Kaffee ist das mit Abstand wichtigste Agrarprodukt und wir haben in den letzten Jahren Fortschritte bei Qualität und Anbau gemacht, etwas für unseren Ruf getan“, sagt Carlos Guevara, Geschäftsführer der Anfang August 2017 gegründeten Genossenschaft.
Guevara, Forstingenieur mit eigener Kaffeefarm, ist gemeinsam mit seinem Freund Deniz Orlando Cortéz Initiator der derzeit 159 Mitglieder – Frauen wie Männer – zählenden Kooperative. „Wir bauen hier im Schatten der Pinienwälder unseren Kaffee nach agroforstwirtschaftlichen Kriterien an und wollen uns ähnlich wie das weiter südlich liegende Marcala als Referenzregion für Qualitätskaffee etablieren“, umreißt der 38-Jährige das Ziel. Dafür braucht es engagierte und motivierte Genoss*innen und dabei spielt der anbauende Nachwuchs eine tragende Rolle.
Der wird von Osman David Cortéz koordiniert und besteht aus einer Gruppe von derzeit 20 Jungproduzent*innen, die Kaffee anbauen, diesen aber auch weiterverarbeiten. Mittlerweile vertreiben sie außerdem zwei Marken – ein davon in Gourmet-Qualität – lokal, aber auch landesweit über ein eigenes Netzwerk. „Wir haben unser Netz über Freund*innen und Bekannte in Städten wie San Pedro Sula, Tegucigalpa oder Tela aufgebaut. All das wäre jedoch nicht passiert, wenn Carlos und Deniz uns nicht unter die Arme gegriffen hätten“, erklärt Cortéz mit einem optimistischen Lächeln. Er sieht heute genau die Perspektiven, die ihm noch vor gut drei Jahren fehlten und die beinahe dazu geführt hätten, dass er gemeinsam mit sieben, acht Bekannten aus Honduras in Richtung USA emigrieren wollte.
Quasi in letzter Minute tauchten damals die beiden ASOPROSAN-Geschäftsführer auf, baten die Gruppe zum Gespräch, boten Unterstützung an und übergaben der Gruppe als erste konkrete Maßnahme den professionellen Kaffeeröster. Das hat die Gruppe beeindruckt, genauso wie das Angebot, Röstkurse zu organisieren, Gespräche mit den Banken und den Eltern zu führen.
Kein Zufall, denn die beiden in San Andrés aufgewachsenen Geschäftsführer der Kaffeekooperative wissen um die lokalen Probleme. Deniz Orlando Cortéz war vor rund zehn Jahren an dem gleichen Punkt wie die acht Jugendlichen, die sich einer Karawane anschließen und über San Pedro Sula, Guatemala und Mexiko den extrem risikoreichen Weg in die USA einschlagen wollten. „Bei mir war mein Vater derjenige, der mich bremste. Er hat mir rund sieben Hektar Brachland überlassen, wo ich meinen ersten eigenen Kaffee anbauen konnte“, erinnert sich der 33-jährige. Er ist mit dem Kaffeeanbau groß geworden, heute bewirtschaftet er gut 20 Hektar. Vielen Jugendlichen aus der Region von San Andrés, aber auch in anderen Anbauregionen, geht es ähnlich. Sie stehen ohne oder mit zu wenig Land da. Das dämpft die Erträge des wichtigsten Exportprodukts von Honduras. „Hinzu kommt der Klimawandel als weiterer Faktor und das Fehlen von Erntehelfer*innen. Sie verlassen das Land, weil sie in den USA mehr verdienen können, und so verlieren wir auf dem Kaffeeweltmarkt an Bedeutung. Wir sind vom 5. auf den 6. Platz zurückgefallen,“ schildert Deniz Cortéz die Entwicklung mit missbilligender Mine.
Für ihn sind das Alarmsignale. Die Produktion im wichtigsten mittelamerikanischen Anbauland aromatischer Bohnen rutscht in die Krise. Es müsse mehr getan werden für die Jugend, die in großer Zahl das Land verlässt. Laut Menschenrechtsorganisationen wandern jeden Tag zwischen 700 und 1000 Menschen aus, vorwiegend junge. Das dämpft auch die Perspektiven der Kaffeewirtschaft und deshalb haben sich Cortéz und Guevara entschieden, mehr zu tun, als nur auf die Umsetzung vollmundiger Ankündigungen der Regierung in Tegucigalpa zu warten.
25 Bienenvölker, dazu die nötige Beratung für die Honigproduktion, haben sie den acht jungen Erwachsenen zwischen 18 und rund 23 Jahren im Namen der Genossenschaft obendrein geschenkt und sich bei der Hausbank dafür eingesetzt, dem Nachwuchs mit günstigen Krediten beim Neustart unter die Arme zu greifen. Das funktioniert: Aus den 25 Bienenvölkern, die gemeinsam von derzeit 20 jungen Erwachsenen unter der Regie der jungen Lehrerin Dilcia Vasquez von Blühort zu Blühort gekarrt werden, sind 100 geworden. Auch sie stand schon kurz davor, in die USA auszuwandern. Der Ertrag durch die Bienen stieg 2023 auf 2.400 Liter Honig und die Produktion soll weiter ausgebaut werden. Dafür bietet die waldige Region mit ihrer vor allem im Frühjahr reichen Blumenpracht sowie der Kaffeeblüte im September und Oktober gute Bedingungen, so Osman David Cortéz. Er trocknet derzeit auf dem Flachdach der kleinen Rösthalle Kaffeebohnen aus seiner Ernte.
„Dieses langsame, kontrollierte Trocknen bei regelmäßigem Wenden der Bohnen ist eine lokale Besonderheit. Sie sorgt dafür, dass die Nachfrage nach dem Kaffee aus San Andrés steigt, denn die in der Sonne zwischen acht und vierundzwanzig Tagen getrockneten Bohnen halten ihre Qualität und ihr Aroma länger“, erklärt Carlos Guevara. Etwas Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Kein Wunder, denn ASOPROSAN hat es in gerade einmal sieben Jahren geschafft, die Zahl der Genossen von anfangs 16 auf derzeit 159 auszubauen, wovon 137 bio- und fairtrade-zertifiziert sind.
Zertifizierungen, die dazu beitragen, dass Carlos Guevara „seine“ Genossenschaft gut aufgestellt sieht: „Die neuen EU-Regulierungen, die zum Schutz der Wälder erlassen wurden, machen uns keine Sorgen – gerade, weil wir nach agroforstwirtschaftlichen Kriterien arbeiten, direkt unter den Pinien-, Nadel- sowie Laubbäumen die Kaffeepflanzen anpflanzen und das auch dokumentieren können“. Auch per Satellit, wie es die EU-Richtlinien ab Ende 2024 vorsehen. Darauf bereiten sich alle 159 Mitglieder, darunter auch Osman David Cortéz, vor. Er lädt uns für den Nachmittag zum Besuch auf dem supergrünen, ein paar Dutzend Meter langen und etwa genau so breiten, Waldstreifen ein, wo er gerade mit zwei Erntehelfern, Fausto und Orlando, erntet. Das Feld von insgesamt 3,5 Hektar Fläche gehört der Familie Cortéz, nur ist mittlerweile der 26-jährige Osman dafür verantwortlich. Seine Position in der Familie hat sich verändert, er ist vom Mitarbeitenden zum Mitentscheidenden geworden.
Dazu hat die nur knapp verhinderte Auswanderung der ursprünglich achtköpfigen, und nun zwanzigköpfigen, Jugendgruppe beigetragen sowie die Empfehlung von ASOPROSAN an die Eltern, ihren Kindern mehr Verantwortung zuzubilligen. „Das war notwendig, um uns zukunftsfähiger zu machen. Wir müssen den Nachwuchs früher und besser einbinden, um Migration zu bremsen und unsere Altersstruktur intakt zu halten“, erklärt Carlos Guevara und deutet auf Osman, der leuchtendrote Kaffeekirschen von prall hängenden Ästen abstreift und sich über gute Ernteaussichten freut. „Das ist das erste von drei Jahren, in dem wir uns auf eine wirklich gute Ernte freuen können“, meint er.
Er rechnet mit acht bis zwölf Tonnen Kaffee, die er und die anderen Nachwuchs-Kaffeebäuer*innen in den nächsten Wochen ernten, auf Dächern, Betonflächen oder dem Fußballplatz von San Andrés in der Sonne trocknen. Rund die Hälfte wird in diesem Jahr nach Deutschland zur GEPA nach Wuppertal gehen. GEPA-Einkaufsmanager Kleber Cruz Gracia unterstützt das Jugendprojekt von ASOPROSAN, weil es Wege aufzeigt, wie aus armen Bäuer*innen, die den Rohstoff Kaffee liefern, landwirtschaftliche Klein-Unternehmer*innen werden. „Das ist ein Mittel, um Landflucht zu verhindern“. Die GEPA wird 2024 etwa 204 Tonnen Rohkaffee fair gehandelt und in Bioqualität von ASOPROSAN importieren, davon rund 25 Tonnen von den Jungbäuer*innen.
Für Carlos Guevara eine ermutigende Nachricht. Er sucht derzeit nach weiteren Kunden, die den „Anti-Auswanderungs-Kaffee“, Café Antimigrante, unterstützen könnten. Die erfolgreiche Initiative hat Potenzial, erfüllt die Vorgaben der offiziellen Regierungspolitik, die Sozialprogramme, alternative Entwicklungs- und Jugendprogramme angekündigt hat, aber nur zögerlich in Wallung kommt, kritisieren Guevara und Kollege Cortéz hinter vorgehaltener Hand. Zu langsam, zu wenig zielstrebig und über wenig Fachkompetenz verfügen die staatlichen Strukturen, kritisieren sie.
In der Kleinstadt San Andrés wird hingegen heute sehr viel sensibler mit dem Thema Auswanderung zwischen den Generationen umgegangen. Das zeigt das Beispiel von Balbino Cortéz Aguate. Der 63-Jährige arbeitet mit seinen beiden Söhnen Ricardo und Balbino Hand in Hand. Die beiden, der eine 29, der andere 25 Jahre alt, veredeln einen Teil ihres Kaffee mit verschiedenen Fermentierungstechniken und hoffen in diesem Jahr, bei der Taza de Excelencia, einem nationalem Kaffee-Wettbewerb, auf einem der vorderen Plätze zu landen. ASOPROSAN hat in diesem Jahr 18 Produzent*innen angemeldet, beim Debüt im letzten Jahr landete Mardo Antonio Vasquez auf dem dritten Platz – ein Achtungserfolg. In diesem Jahr nun eifern Balbino und Ricardo Córtez Aguate ihm nach. Der Jüngere der beiden war noch vor zwei Jahren auf der Route gen USA. Seitdem arbeitet er mit seinem Bruder an der Verfeinerung des Familienkaffees und hat dabei die volle Unterstützung seiner Eltern. Für ASOPROSAN-Geschäftsführer Carlos Guevara eine rundum positive Entwicklung.
Diese Reportage hat der freie Journalist Knut Henkel von seinem Besuch in Honduras mitgebracht.
Von ASOPROSAN erhält die GEPA Rohware u.a. für den Bio Café Esperanza. Er ist in Weltläden, Bioläden, im gut sortieren Lebensmittelhandel sowie im GEPA-Store in Wuppertal oder online unter www.gepa-shop.de erhältlich.
Stand: 02/2024
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