Peru: Aufbruch der Kaffeebäuerinnen
Frauen sind in der Kaffeeproduktion und im Kaffeehandel durchaus präsent – allerdings meist in der zweiten Reihe. Bei der Genossenschaft ACPC Pichanaki ist das anders. Da gibt es ein Frauenkomitee, mit „Sisi Warmi“ einen Frauenkaffee und viele Pläne.

Fairer Kaffee für Chanchamayo
Raquel Navarro steht am Tresen, hinter ihr ist das Logo von Cokis, der Cafetaria der Kaffeegenossenschaft ACPC Pichanaki zu sehen. Darauf eine rote Ameise mit einer dampfenden Tasse Kaffee. “Cokis gibt es seit zwei, drei Jahren, es ist der Versuch, unseren gerösteten Kaffee, aber auch andere Produkte hier in der Region zu etablieren”, erklärt Raquel Navarro. Die 33-Jährige mit den hochgesteckten Haaren gehört zu einem Team von jungen Kaffeeproduzent*innen, die ihren eigenen Kaffee unter die Menschen bringen wollen, und das zu fairen Preisen. ”Die Stadt Pichanaki ist das Zentrum von Perus bekanntester Kaffeeregion Chanchamayo. Wo, wenn nicht hier, sollte es klappen den fairen Kaffeekonsum zu etablieren?”, fragt sie mit einem charmanten Lächeln.
Das sehen auch Gladys Fernández, Ines Chipana und Lidia Orellana so, die heute im Café sitzen und ein Treffen des Comité de Damas, des Frauenkomitees, vorbereiten. „Derzeit sind 108 von 377 Genoss*innen weiblich - Tendenz steigend. 40 Prozent der Neueintritte in die Genossenschaft ACPC Pichanaki sind Frauen“, erklärt Gladys Fernández. Sie ist seit Anfang des Jahres die Präsidentin des Frauenkomitees und lebt auf einer rund vier Hektar großen Farm in den Bergen oberhalb von Pichanaki. „Ich baue vor allem Kaffeesorten wie Geisha und Catuay an, die für Qualität bürgen. Mein Ziel ist es, Gourmet-Kaffee zu produzieren, der besser bezahlt wird. Ich will in die Farm und die Zukunft meiner beiden Kinder investieren“, beschreibt die 45-Jährige ihre Zukunftsplanung. Diese teilen etliche aus dem Frauenkomitee, in dem derzeit 36 der 108 Genossinnen aktiv sind. Sie werden von der Genossenschaft ACPC Pichanaki seit ein paar Jahren gezielt gefördert: „Wir bieten Seminare zu den Frauenrechten an. Die Zahl der Frauen in leitender Position innerhalb der Genossenschaft steigt und natürlich unterstützen wir auch Produzentinnen, die ihre Produktion qualitativ und quantitativ steigern wollen“, erklärt Pedro Rodríguez, der langjährige Geschäftsführer von ACPC Pichanaki. Dafür sorgen die Agrartechniker*innen, darunter immerhin eine Frau, mit Teamleiter Jorge Pedro Astulla. Sie beraten, liefern Saatgut, manchmal auch Setzlinge und viele Tipps vor Ort, so Pedro Rodríguez.
Mein Ziel ist es, Gourmet-Kaffee zu produzieren, der besser bezahlt wird.
Verschiebungen der Kaffeeernte durch Klimawandel
Die Genossenschaft wurde im Mai 2000 mit 39 Genoss*innen gegründet. Das Gros von ihnen baut in den Bergen rund um Pichanaki ihren Kaffee in Höhenlagen zwischen 900 und 2050 Metern über dem Meeresspiegel an. Normalerweise beginnt die Ernte der knallroten, bei einigen Sorten auch sattgelben Kaffeekirschen im März. Doch in diesem Jahr sind die Pflanzen früher dran, wie sich auf dem riesigen betonierten Platz vor den Lager- und Verarbeitungshallen der Genossenschaft ACPC Pichanaki zeigt. Dort, auf der von einer Mauer umgebenen Freifläche, machen sich gerade ein paar Bauern daran, ihre Säcke mit Kaffeebohnen auszukippen und gleichmäßig mit Holzharken auf der vorab gefegten Betonfläche zu verteilen. „Das ist Kaffee aus den unteren Lagen von 900 bis 1000 Metern. Dass sie Mitte Februar schon anliefern bedeutet, dass wir die Ernte früher beginnen – vielleicht auch früher beenden können. Das ist aber alles andere als sicher“, sagt er und schiebt noch ein Wort hinterher: “Klimawandel“.
Kaffeepilz sorgte für Produktionseinbruch um 80 Prozent
Der stellt die Frauen und Männer rund um Pichanaki, eine quirlige Stadt mit rund 20.000 Einwohner*innen, vor immer neue Probleme. Zwischen 2011 und 2014 brach die Kaffeeproduktion um rund achtzig Prozent ein. Grund war der Kaffeepilz La Roya. Mehrere Jahre dauerte es, bis sich der Anbau wieder erholte, und nun setzten viele der Bäuer*innen auf Qualität. Nach etlichen Jahren mit lauen Einnahmen und mittelprächtigen Erträgen geht es nicht nur für Gladys Fernández und Raquel Navarro darum, Geld zu verdienen. In diesem Jahr sind die Vorrausetzungen dafür relativ gut. „Die Kaffeepreise sind mit rund 3,40 US-Dollar pro Pfund sehr hoch, die Ernteaussichten positiv. Wenn wir gut durch die Ernte kommen, Qualität liefern, können wir mit Einnahmen rechnen, die mehr als die Kosten decken“, sagt Navarro (Anm. d. Red.: Hier ist das amerikanische Pfund gemeint, also 453,6 Gramm). Sie baut in dem Dorf Paucarbanbilla auf wenig mehr als einem Hektar die Sorten Castilla und Catuai an, steht regelmäßig im Cokis hinter dem Tresen, um Kaffee aufzubrühen, Espresso und Cappuccino sowie andere Kaffeespezialitäten zuzubereiten. „Ich träume davon, eine Ausbildung als Catadora zu machen, irgendwann ein eigenes Café aufzumachen“, erklärt sie mit optimistisch leuchtenden Augen.
Ich träume davon, eine Ausbildung als Catadora zu machen.
Ausbildung zur Q-Graderin mit Hilfe der GEPA
Catadoro/-a heißen in Peru die Q-Grader*innen, die Kaffee-Sommeliers mit den feinen Geschmacksnerven. Sie sind dafür verantwortlich, die Qualität der Bohnen zu bestimmen, festzulegen, wieviel Punkte ein Kaffee auf der Skala der amerikanische Specialty Coffee Association (SCA) erreicht. Die stuft die Qualität der Kaffeebohnen nach international verbindlichen Kriterien in einer Skala von eins bis einhundert Punkte ein. Dabei werden die Kaffeebohnen in einem standarisierten Test, dem Cupping, von so bereits erwähnten Q-Grader*innen oder Catadores bewertet. Alle Kaffees mit mehr als 80 Punkten gelten als Spezialitätenkaffees, mit über 85 Punkten als exzellent und die Crème de la Crème der Kaffees erreicht 90 bis 100 Punkte. Letzteres trifft aber nur auf ein Prozent der weltweiten Kaffeeernte zu, entsprechend teuer werden diese Kaffees gehandelt. Das kennt auch Elisa Hinojosa Cerrón aus eigener Erfahrung, sie ist Mitglied von Pichanaki und hat Dank der Kooperation mit der GEPA die Ausbildung zur Q-Graderin absolviert. Also solche war sie auch zweimal in Deutschland bei der GEPA, um sowohl den deutschen Kaffeemarkt kennenzulernen als auch ihr Wissen über Spezialitätenkaffee zu vertiefen.
Mehr Punkte in die Tasse
Zu denen gehören alle Kaffees mit über 84 Punkten, für die bereits deutlich höhere Preise gezahlt werden. „Genau da wollen wir hin“, erklären die vier Frauen einmütig. Dafür investieren sie deutlich mehr Arbeit in ihre Kaffeesträucher. Gladys Fernández hat auf ihrer Farm, die ich am nächsten Tag gemeinsam mit Kaffeetechniker Jorge Pedro Astulla besuche, eine Ecke im Hof mit grünen Gazebahnen abgetrennt, wo sie Setzlinge zieht. „Das Saatgut kommt von Jorge beziehungsweise der Genossenschaft, die uns allen unter die Arme greifen“, lobt die Frau mit den hochgesteckten Haaren. Auf ihrer Farm sind etliche Obst-, aber auch Edelholzbäume zu sehen. „Das schlägt sich im Aroma der Bohnen nieder, sorgt für zusätzliche Einnahmeoptionen und für Schatten, den die Kaffeesträucher brauchen“, sagt die Kaffeekennerin. Von ihren Eltern hat sie die Farm übernommen, bewirtschaftet sie gemeinsam mit ihrem Mann.
„Wir kommen auf 84, 85 Punkte in der Tasse, wollen auf 86, 87 Punkte hinaus und dafür investieren wir viel Arbeit in den Kaffee – nicht nur in den Anbau, sondern auch bei Ernte, Selektion, Trocknung und Verarbeitung“, erklärt sie und nimmt ein paar Pflanzen an einem der steilen Hänge in Augenschein. Alles ok, kein Kaffeepilz zu sehen. La Roya, wie der Kaffeerost auf Spanisch heißt, ist neben dem Hahnenauge, ein weiterer Pilz, und dem Kaffeekirschenkäfer einer die drei wichtigsten Schädlinge. Der Kaffeerost befällt die Blätter mit orangefarbenen Pusteln, schränkt die Photosynthese ein und sorgt im Extremfall dafür, dass die Kaffeepflanze alle Blätter verliert und die Kaffeekirschen nicht mit Nährstoffen versorgt wird. Regelmäßiger Kontrollen sind daher extrem wichtig. Die macht nicht nur Gladys Fernández, sondern auch Ive María Gutiérrez.
Wir investieren viel Arbeit in den Kaffee – nicht nur in den Anbau, sondern auch bei Ernte, Selektion, Trocknung und Verarbeitung.
Widerstandsfähige Kaffeepflanzen als Investition in die Zukunft
Sie baut – nur ein paar Kilometer entfernt – auf sechs Hektar Fläche ihren Kaffee an und hatte im letzten Jahr Probleme mit dem Kaffeepilz La Roya. „Daraufhin haben wir die Sträucher mit einer Extraportion Biodünger aufgepäppelt, erneuern die Plantage auch viel früher als noch vor fünfzehn, zwanzig Jahren: Junge Pflanzen sind widerstandsfähiger“, erklärt die erfahrene Kaffeebäuerin. Heute inspiziert sie gemeinsam mit Jorge Pedro Astulla einen vor drei Jahren neu bepflanzten Hang. Ein paar gelbe Caturra-Kaffeekirschen sind schon reif, die die 50-Jährige geschickt vom Ast abstreift und in den Eimer gleiten lässt. Das Prozedere wiederholt sich an einem Catuay- und einem Pache-Strauch und wenig später auf dem Rückweg zum Haus mustern die beiden die Kirschen und drücken die Kerne aus dem Fruchtfleisch. „Sieht sehr gut aus“, urteilt Astulla. Schließlich ist das Haus erreicht, Astulla nimmt am Tisch Platz und wiederholt die beschriebenen Schritte mit weiteren Kaffeekirschen und nickt zufrieden. Gute Gründe, um das Saatgut weiterzuempfehlen.
Dem pflichtet Ive Gutiérrez bei, die wenig später mit einer Kaffeekanne mit frisch aufgebrühtem Kaffee am Tisch auftaucht, die hellen Bohnen kurz auf Defekte mustert, zufrieden nickt und den Kaffee ausschenkt. „Wir haben in junge, ertragreiche und widerstandsfähige Pflanzen investiert, das war harte Arbeit“, sagt sie und schiebt noch „Das kann man schmecken“ hinterher. Dann verschwindet sie kurz in der Küche und stellt Brot mit selbstgemachtem Honig auf den Tisch, bevor sie die hellen Kaffeebohnen noch einmal aufmerksam durch die Finger gleiten lässt. Gutiérrez gibt ihre Expertise gern an die anderen Frauen weiter, berät, welche Kaffeesträucher für gute Ergebnisse in der Tasse sorgen und wie wichtig gute Selektion und Trocknung für die Qualität der Bohnen ist.
Wir haben in junge, ertragreiche und widerstandsfähige Pflanzen investiert, das war harte Arbeit. Das kann man schmecken.
Perus Kaffeeszene: Frauen treten in den Vordergrund
Das spricht sich rum in Pichanaki, aber auch in der Kaffeeszene des Landes, das in den Top Ten der weltweit größten Produzenten rangiert. Frauen standen lange im Schatten der Männer, doch das ändert sich nicht nur in Pichanaki langsam. Pioniercharakter hatte Café feminino aus Chiclayo, ein 2003 gegründetes – von zwei kanadischen Universitäten unterstütztes – Kaffee-Projekt, das in drei Regionen des Landes präsent ist. In Cusco, der alten Inkastadt, sorgt hingegen Florencia y Fortunata für neue Maßstäbe. Inhaberin Carolina Peralta schenkt nur Kaffee aus, der von Frauen produziert wird. Jede Kaffeetüte, die ihre Röststube in der Calle José Gabriel Cosio von Cusco verlässt, trägt das Gesicht der Frau, die für Anbau, Ernte und Verarbeitung der Bohnen verantwortlich ist. Das hat es in Peru so noch nicht gegeben, zudem setzt Peralta auch bei Ankauf und Löhnen auf Fairness. „Es geht mir nicht darum viel zu verdienen. Es geht mir darum sichtbar zu machen, dass Frauen exquisiten Kaffee produzieren, aber viel zu wenig wahrgenommen werden“, sagt Peralta, die Anfang 30 ist und aus Cusco stammt. In Sachen Marketing, Logo, Verpackung, aber auch dem Auftritt vor der Kamera macht ihr kaum jemand was vor. Das inspiriert Frauen wie Raquel Navarro. Sie kann sich gut vorstellen, so etwas wie Peralta in Cusco in Pichanaki auf die Beine zu stellen. Vielleicht auch unter dem Dach der ACPC Pichanaki. Immerhin denkt Geschäftsführer Pedro Rodríguez schon länger darüber nach, in einen neuen Röster zu investieren. Da Röstmeister Flavio Urbano Gabriel mit seinen 65 Jahren das Rentenalter erreicht hat, steht auch da Erneuerung an – eine Chance für die neue Generation – darunter Frauen wie Raquel Navarro.
Es geht mir darum sichtbar zu machen, dass Frauen exquisiten Kaffee produzieren, aber viel zu wenig wahrgenommen werden.
Diese Reportage hat der freie Journalist Knut Henkel von seinem Besuch in Peru mitgebracht.
Kaffee von ACPC Pichanaki ist auch in unserem Orgánico-Sortiment enthalten.